Mutig, tabulos, lebensfroh.

Wer bei den „DIE T(H)UMORVOLLEN“ an einen Stuhlkreis und traurige Gesicher denkt, ist bei einer Gruppe Frauen aus dem Oberland an der falschen Adresse. Die „Frauen von nebenan“ treffen sich, um dem Brustkrebs gemeinsam den Kampf anzusagen. Die TIROLERIN hat sie einen Nachmittag lang besucht.


An einem sonnigen Spätsommertag mache ich mich auf den Weg nach Oetz. Während ich durch die sonnengefluteten Täler in Richtung Oberland fahre, bereite ich mich gedanklich auf das anstehende Treffen vor. Ich habe viele Fragen im Gepäck, meine Erwartungen sind gemischt. Einerseits freue ich mich, meine Gesprächspartnerinnen, die sich bei der Terminvereinbarung per Telefon schon so fröhlich und begeistert gezeigt haben, persönlich zu treffen. Andererseits ist der Anlass unseres Treffens ein weniger erfreuliches Thema, mit dem ich bisher (Gott sei Dank) kaum in Kontakt gekommen bin.

Come-together. Meine Interview-Partnerinnen für heute sind eine bunt gemischte Gruppe von Frauen, vorwiegend aus dem Bezirk Imst/Landeck. Was sie eint, ist die Diagnose Brustkrebs. In enger Zusammenarbeit mit dem Krankenhaus Zams fand im Februar ein erstes Treffen mit acht Patientinnen statt. Was mit der Idee einer Selbsthilfegruppe begann, hat sich in der Zwischenzeit zu einem Verein mit 21 Mitgliedern entwickelt. Als ich zum Treffpunkt komme, winkt mir eine große, schlanke Frau mit kurzen dunklen Haaren entgegen. Sie trägt eine große Sonnenbrille, Jeans und ein weißes T-Shirt, dessen Aufdruck in Rot die Umrisse der weiblichen Brust darstellt. Karoline Riml ist die Obfrau des jungen Vereins DIE T(H)UMORVOLLEN. Sie begrüßt mich Corona-konform, aber herzlich und drückt mir sogleich eines dieser T-Shirts in die Hand. Im Seehüters Hotel Seerose am Piburger See, das als Ort für das heutige Vereinstreffen ausgewählt wurde, erwartet uns eine festlich gedeckte Tafel an der schattigen Terrasse. „Ich habe im Oktober 2019 die Diagnose Brustkrebs bekommen“, erzählt Karoline, als wir auf die anderen Vereinsmitglieder warten. „Ein paar Monate später habe ich ein Bild von mir auf Facebook gepostet, mit dem Gedanken, pro Like einen Euro an die Tumorforschung Zams zu spenden. Diese Aktion hat den Anstoß gegeben.“ Der Beitrag ging durch die Decke, sodass schließlich 550 Euro zusammenkamen. „Auf meine Spende hin ist Dr. Stefan Hiehs vom Krankenhaus Zams mit dem Vorschlag, eine Selbsthilfegruppe für Brustkrebskranke zu gründen, auf mich zugekommen.“ So kam es zum ersten Treffen einer kleinen Gruppe von Betroffenen. Seither vermittelt Dr. Hiehs seine Patientinnen und Patienten, ist aber auch persönlich gerne in der Gruppe vertreten. Karoline beschreibt ihr Engagement für den Verein als persönliche Therapie.

Netzwerkeffekt. Nach und nach trudeln weitere Vereinsmitglieder ein, begrüßen sich fröhlich. Scherzen wie Freundinnen, die sich lange nicht gesehen haben und sich endlich mal wieder zum Mittagessen treffen. So muss es auch für die anderen Gäste aussehen, denn abgesehen von den weißen T-Shirts, weist kaum etwas darauf hin, dass hier acht Frauen am Tisch sitzen, die alle den gleichen Kampf führen. Wir bestellen Mittagessen, es wird geredet und viel gelacht. Die 66-jährige Marion ist zum ersten Mal bei einem Treffen dabei. Sie erzählt von ihrer Brustkrebsdiagnose vor 18 Jahren, aber auch von ihrer Familie und wie sie von Berlin nach Tirol gekommen ist. Dann geht es wieder um ganz Alltägliches. Bei machen Geschichten glitzern Tränen in den Augen der Frauen. „Wenn man von einem Moment auf den nächsten die Diagnose bekommt, ist man erstmal wie ferngesteuert“, erinnert sich Karoline. Carmen erzählt: „Mein erster Gedanke war: Wie bringe ich das meinem Sohn bei?“ Ein Stapel Prospekte, Infoposter mit traurigen Gesichtern oder Statistiken und die wöchentliche psychologische Beratung seien für viele einfach nicht das, was man im ersten Moment wirklich brauche. „Man hat oft das Gefühl, alleingelassen zu werden“, sind sich die Patientinnen einig. Es kämen so viele Fragen auf einen zu, nicht nur medizinische, etwa auch zu den eigenen Rechten, Arbeit und Lohnweiterzahlungen oder zum Umgang mit den Folgeerscheinungen der Chemotherapie. Mit derartigen Herausforderungen wollen sie sich daher gegenseitig weiterhelfen. Aber nicht nur mit Informationen und Erfahrungen stehen sich die Leidensgenossinnen zu Seite.

Bei mittlerweile mehr als 20 Vereinsmitgliedern kann man sich sicher sein, dass es immer jemanden gibt, der für einen da ist. Diese Gewissheit zu haben schätzen die Einzelnen an der Gruppe sehr. Aber auch vonseiten ihrer Partner, Familien, Freundinnen und Freunde hilft ihnen das: einfach da sein. Dabei bringe der Krebs auch für alle, die nur indirekt betroffen sind, große Herausforderungen mit sich, sind sich die Patientinnen bewusst. „Oft gibt es einfach Tage, an denen es einem nicht gutgeht, und dann interessiert es mich zum Beispiel nicht, wie meine Freundin gerade ihren nächsten Urlaub plant. Dann habe ich andere Dinge im Kopf“, erzählt eine der Frauen. An guten Tagen hingegen seien dann wieder andere Themen möglich. Bei den Übrigen trifft sie mit diesem Dilemma auf Verständnis. Alle scheinen diese Perspektive zu kennen. Während meines Besuchs habe ich immer wieder den Eindruck, dass die Betroffenen das Leid und die Probleme der anderen exakt nachfühlen, weil sie die betreffende Situation selbst erlebt haben. Darin liegt wohl auch die Stärke einer Selbsthilfegruppe. Die Mitglieder scheinen fast intuitiv zu wissen, was eine andere Person braucht, und schaffen es so auch, sich gegenseitig durch die schwere Zeit zu tragen. „Uns geht es um den Austausch. Bei uns soll man jemand zum Reden haben – über Krebs oder auch nicht“, stellen sie klar.

In nächster Nähe. Zwar gibt es große Organisationen wie die Österreichische Krebshilfe und Kampagnen wie Pink Ribbon, die auf Brustkrebs aufmerksam machen wollen, speziell im Berzik Imst/Landeck fehlte es bisher aber an persönlicher Unterstützung. Der starke Zulauf, den die Gruppe erfährt, spricht dafür, wie wichtig es ist, echte Ansprechpartnerinnen und -partner vor Ort zu haben, jemanden zu haben, der einen wirklich versteht. Neben der Möglichkeit, sich auszutauschen und füreinander da zu sein, will der Verein aber auch mit anderen Aktionen durchstarten. So ist auf die Idee von Dr. Hiehs hin eine Charity-Aktion beim Ötztaler Radmarathon 2021 geplant, bei der sich die Patientinnen und Patienten gemeinsam mit dem ärztlichen Personal beteiligen. Zudem will der junge Verein, sobald ein Name gefunden ist, in Zukunft online über Facebook und eigene Vereins-Website auf sich aufmerksam machen und informieren.

Missverstanden. Dass dem Thema Brustkrebs außerhalb der Kreise der Betroffenen noch nicht die Akzeptanz zukommt, die es verdient, merken die Frauen an den Reaktionen Außenstehender. „Man hört von anderen immer wieder: „Ja i kannt des ned.“, bemerkt Patrizia entnervt. Sie ist mit 21 Jahren momentan die Jüngste in der Gruppe. Diesen und ähnlichen Sätzen scheinen auch die anderen tagtäglich zu begegnen. Scheinheilige Nachfragen, oft auch um mehrere Ecken bei Familienmitgliedern oder Freundinnen und Freunden, wie es einem gehe, kennen die Frauen zur Genüge. Oft werde die Krankheit aber auch nach dem Motto „Ach, es ist ja nur Brustkrebs, da sind die Heilungschancen ja sowieso gut“ abgetan. Laut Angaben des Landes Tirols erkranken pro Jahr tatsächlich 550 Frauen allein in Tirol an Brustkrebs. Dabei ist Brustkrebs mit einem Anteil von knapp einem Drittel aller Tumoren die häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Bei Männern kommt die Krebsart weitaus seltener vor, verläuft dafür aber häufig schwerwiegender. Dabei fallen auch die Heilungschancen bei weiblichen Betroffenen deutlich besser und in der Tat in den meisten Fällen gut aus. Trotz allem erliegt statistisch gesehen aber durchschnittlich alle drei Tage eine Patientin der Krankheit.

Powerfrauen. Während ich mit den Frauen auf der schattigen Terrasse sitze, gibt es Momente, in denen man beinahe vermisst, dass eine schlimme Krankheit dafür verantwortlich ist, dass dich diese fröhliche Truppe hier zusammengefunden hat. Je länger ich Teil der Runde bin, mich mit den Frauen unterhalte und ihren Gesprächen untereinander lausche, umso mehr wird mir aber auch klar, wie viele kleine und größere Einschnitte in das „normale“ Leben der Krebs mit sich bringt. Die Diagnose mag bei allen dieselbe sein, aber dahinter hat jede Patientin ihre eigene Geschichte. Als ich meine Gesprächspartnerinnen schließlich frage, mit welchen drei Begriffen sie sich beschreiben würden, entscheiden sie sich für „mutig“ und „tabulos“. Die dritte Eigenschaft lassen sie mich bestimmen. Ich entscheide mich für „lebensfroh“. Und tatsächlich beschreiben diese drei Wörter die Runde sehr gut. Die Frauen treffen sich nicht mit traurigen Gesichtern im Stuhlkreis, sondern sagen ihrer Krankheit stark und optimistisch den Kampf an, ohne dabei ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Und ich habe das Gefühl, dass sie so mehr für sich tun, als es jemand anders je vermag, und man kann Betroffenen nur wünschen, Teil dieser Gruppe zu werden, die so unerschütterlich versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Am Ende meines Besuchs komme ich daher auch nicht umhin, der Gruppe noch eine vierte Eigenschaft zuzuschreiben: „bewundernswert.“


ZUM ORIGINALBERICHT IN DER TIROLERIN