Vertrauensvoll meinen Weg gehen

Als ich die Diagnose Brustkrebs annehmen musste, wurde ich von der breiten, bequemen Straße des Lebens auf einen schmalen Waldweg geschubst. Eine neue herausfordernde Wanderung begann. So habe ich mir meine Erkrankung sinnbildlich vorgestellt, um sie besser zu verarbeiten. Heute darf ich dir von meiner Tour berichten. Vielleicht kann auch ich dazu beitragen, dass Krebs kein Tabu bleibt, denn …

Oft ist es nicht von Bedeutung wohin dich dein Weg führt, wie steil oder steinig er ist. Wichtig ist, wer dich auf diesem Weg begleitet.


Ich sag: „Griaßdi!“ Stell dir vor es ist ein sonniger Tag, kleine weiße Wolken am blauen Himmel. Vergnügt sitze ich an einem türkisfarbenen Bergsee und beginne zu erzählen. Moment … wer bin ich überhaupt? Ich heiße Marianne, wurde in den Siebziger Jahren geboren und bin am Arlberg groß geworden. Naja, Größe lässt sich interpretieren. Ich bin verheiratet, hab zwei Kinder, singe gerne und genieße die Natur beim leichten Laufen und Fotografieren.

Anfang Februar 2020 trudelte ich gemütlich ins Krankenhaus Zams zur Mammographie ein. Ein Jahr vorher wurden verkalkte Bereiche in meiner Brust gefunden, die wollte ich kontrollieren lassen. Beim anschließenden Ultraschall nahm sich die nette Ärztin viel Zeit, konnte aber keine genaue Diagnose stellen. Nachdem vier Augen bekanntlich mehr sehen, kam Dr. Hiehs hinzu. Er verordnete eine baldige MRT-Untersuchung, um die Areale eventuell als Krebsvorstufen zu entlarven. Coronabedingt kam der Termin erst im Mai zustande. Ich machte mir damals keine großen Sorgen. Erst als eine Biopsie Sicherheit bringen sollte, wurde ich nervös. Trotzdem sah ich bei der Gewebeentnahme neugierig zu, wie sich die lange Hohlnadel in meine Brust bohrte. An die Befundbesprechung, die zwei Tage später stattfand, erinnere ich mich noch gut.

Am 4. Juni 2020 saß ich angespannt auf einem einsamen Stuhl mitten im Besprechungszimmer. Während tausend Gedanken durch meinen Kopf schwirrten, hielt ich mich an meiner Handtasche fest. Dr. Stefan Hiehs saß mir gegenüber am PC und hatte meine Bilder am Schirm. Ich konzentrierte mich auf seine ruhige Stimme.

Arzt: „Die Befunde der Pathologie sind eindeutig.“
Meine innere Stimme: „Super … Gewissheit“  
Arzt: „In deiner Brust ist ein bösartiger Tumor.“
Meine innere Stimme: „Ach du liebe Scheiße!“
Arzt: „Er ist gut zu behandeln.“
Meine innere Stimme: „Puh, dem Himmel sei Dank.“
Arzt: „Wir sprechen leider nicht mehr von Vorstufen, sondern von Brustkrebs.“
Meine innere Stimme: „Meine Güte, was kommt da alles auf mich zu?“
Arzt: „Du brauchst eine Operation, eine Strahlentherapie und eine
Antihormontherapie.“
Meine innere Stimme: „Mädel, da musst du jetzt durch, es gibt kein zurück.“
Da hätte ich am liebsten mein Leben zurückgespult.

Trotz dieser schlechten Nachricht, verspürte ich im weiteren Gespräch mein VERTRAUEN, und war recht zuversichtlich. Die feinfühlige Art des Arztes und sein „um mich Kümmern“ hat mir in diesem Moment sehr geholfen.

Später ging es mir nicht mehr so gut. In meinen Gedanken war ich nun hart auf den Waldboden gestürzt. Als ich weinend alles meinem Mann erzählte, war seine erste Reaktion: „Wir schaffen das zusammen!“ Symbolisch gesehen half er mir sofort auf, und nahm mir den schweren Rucksack ab. Auch meine zwei Jungs ermutigten mich. Sie rannten leichtfüßig den Weg voraus und riefen: „Mama, du packst das locker!“ Ich wischte meine Tränen weg und akzeptierte schnell, dass es nun einfach mich traf. Realisierte, dass mir eine anstrengende Tour auf den unbekannten Berg unmittelbar bevorstand. Natürlich machte ich mir Gedanken über meine Kondition und fragte mich wer mitkommt? Wie lang mich diese Krankheit begleiten wird? Wie ich alles bewältige? Wie ich damit umgehe, offen oder verschwiegen? Die Broschüren der Krebshilfe wollte ich als Wanderkarten benutzen, aber sie machten mich unsicher, ich legte sie vorerst beiseite. Ich VERTRAUTE darauf, dass ich zum richtigen Zeitpunkt den Weg und Antworten auf meine Fragen finden würde. Mein Motto war: einfach LOSGEHEN, kurze Etappen schaffen und mein Lachen nicht zurückzulassen. So fit wie möglich wollte ich für meine Operation und Therapien sein und bereitete mich vor. Ich achtete bewusster auf die Ernährung, selbstverständlich mit Schokolade. Um Körper und Seele etwas Gutes zu tun, hatte ich schon im März, während dem ersten Corona-Lockdown, mit dem Laufsport begonnen. Das lohnte sich nun. Wie das Singen meiner Lieblingslieder half mir auch das Laufen, mein tägliches Tumor-Gedankenkarussell und vereinzelte Tränen zu stoppen.

Mitte Juni verliefen meine brusterhaltende Operation und sämtliche, dazugehörigen Untersuchungen sehr gut. Das lange Warten auf den abschließenden Pathologiebefund war nervlich mühsam, doch der Tumor konnte entfernt werden, es wurden keine Anzeichen von Metastasen gefunden. Überglücklich erreichte ich die ersten Etappenziele! Einfühlsame Ärzte waren VERTRAUENSWÜRDIGE Wegbegleiter, die sinnbildlich meine schmerzhaften Fußgelenke und wunde Blasen versorgten. Achtsame, fröhliche Krankenschwestern, Pfleger und Arzthelferinnen machten Mut zum Weitergehen und zeigten mir die lockeren Stolpersteine. Mit warmherzigen, lustigen und auch mal sarkastischen Gesprächen wanderten Freunde mit. Sie reichten mir frisch gefüllte Wasserflaschen und Müsliriegel zur Stärkung. So trat ich VERTRAUENSVOLL und gut gelaunt meine nächste Etappe, die Strahlentherapie an. Freundliche Radiologietechnologinnen führten mich in meinen Gedanken sicher über die schmalen Trampelpfade. Als ich im August diese Therapie abschließen durfte, genoss ich bei herrlichem Sommerwetter die wunderschöne Aussicht in den Bergen. Meine Familie war immer an meiner Seite.


Doch im Herbst wurde die Tour zur Tortur. Eine Antihormontherapie gesellte sich als Weggefährte hinzu. Ach du Schreck, dieser Kamerad ist anstrengend! Seine Begleiterscheinungen machten sich sehr bemerkbar.

  • Hitzewallungen: Akzeptiert, ich wurde einstimmig zur neuen
    Heizdecke auserkoren.
  • Müdigkeit, schlaflose Nächte: Akzeptiert, ich durfte jederzeit
    ohne Erklärung die Couch in Anspruch nehmen.
  • Vom Kopf bis zum Zeh, tat alles weh: Ok, auch akzeptiert,
    wenigstens spürte ich mich.
  • Stimmungsschwankungen: Unakzeptabel, oh Gott, furchtbar!


Diese Gefühlsausbrüche überrumpelten mich so nach Lust und Laune. Manchmal schlief ich mit Tränen in den Augen ein, wachte mit ihnen auf. Ich sah einiges negativ, war überfordert, auch mal aufbrausend, nervenschwach und kraftlos. Nebenbei trug bei mir die Corona-Situation nicht gerade zur Entspannung bei. Ich wollte so viel Normalität wie möglich aufrechterhalten, mit Schule, Haushalt, Job und Pandemie den Alltag organisieren. Doch ich stand in einer steilen Böschung mitten im Gestrüpp, es regnete in Strömen. Ich hatte Angst, meinen Weg nicht mehr zu finden. Verzweifelt versuchte ich tränennasse Momente beiseitezuschieben. Geduldiges Reden meines Mannes fruchtete auch nicht, denn vernunftgeleitetes Denken meinerseits war unmöglich. In diesen Augenblicken war ich gefangen, konnte buchstäblich nicht aus meiner Haut. Diese VERTRAULICHEN Momente betrafen vor allem ihn und unsere Jungs. Wir mussten lernen, damit umzugehen und ich war erneut am Weinen, weil ich ihnen das antat. Es kostete sehr viel Kraft, meinen Akku der positiven Energie immer wieder aufzuladen. Die liebevollen Umarmungen und Scherze meines Partners und der Kinder waren da die beste Hilfe. Unser gegenseitiges VERTRAUEN war stärker als meine Angst, mich im dunklen Nebel zu verirren. Wir lachten dennoch und bewunderten bunte Blumen sowie duftende Kräuter, die auf den Bergwiesen blühten.

Viel Bewegung, Natur und Musik wurden zum Ausgleich und ich begegnete den T(H)UMORVOLLEN. Schon beim ersten Telefonat mit Obfrau Karoline passte irgendwie alles. Wir redeten und lachten, als kannten wir uns schon längst und nicht erst seit fünf Minuten. Coronabedingt war ein Treffen nicht möglich, doch mir genügte das Bewusstsein, dass ich mich diesen starken Frauen ANVERTRAUEN könnte. Der Austausch online in der Brustkrebs-Österreich-Gruppe tat auch gut. Hier lernte ich die verschiedenen Brustkrebsarten und den individuellen Umgang damit kennen. Ich traf viele mutige Wanderdamen, einige mussten schwerere Routen wählen.

Nun sitze ich hier am Bergsee und genieße mit meiner kleinen Family die Natur, plansche mit den Füßen im kühlen Nass und freue mich über das Leben. Ich denke nicht daran wie mein Wandern weitergeht, ob ein weiterer steiler Anstieg vor mir liegt oder wann die Tour endet. Ich möchte nicht nur glücklich am Ziel sein, viel mehr noch am Weg dorthin. Der ist jetzt einfacher, die Narben der Krankheit sind weich und blass geworden. Vor kurzem stand die erste Jahres-Untersuchung an. Ach herrje, war ich aufgeregt. Aber die VERTRAUTEN Ärzte durften mir gute Befunde aussprechen, und das wurde ausgiebig gefeiert. Ich bin froh, dass ich am Früherkennungsprogramm teilnahm und der Tumor daher früh entdeckt wurde, denn ertasten konnte ich ihn nie. Also Mädel oder Junge, scheu dich nicht, geh hin und nutze das Angebot! Die Nachsorgetermine nehme ich gerne an, denn so individuelle persönliche Betreuung hat auch nicht jeder. Die unerwünschten Nebenwirkungen meiner wichtigen Antihormontherapie versuche ich mit Sport zu minimieren. Auch wenn ich dazu gelegentlich erst den inneren Schweinehund besiegen muss, gelingt das mittlerweile ganz gut. Ich bin unendlich dankbar, dass mein Humor und fröhliche Stunden stets geblieben sind, genauso wie hilfsbereite, gut gelaunte, verständnisvolle Weggefährten um mich herum. Dankeschön!

Während ich hier aufs Wasser schaue, blicke ich zurück auf ein intensives Krebs-Corona-Jahr, in dem sich das Leben änderte und VERTRAUEN zu meiner Mutprobe wurde. Es war eine Zeit vom Schwach und zugleich Stark sein. Viele Lebensfragen tauchten auf, mit denen ich mich gar nicht beschäftigen wollte. Einige Fragen sind geblieben. Doch eines bin ich mir auf alle Fälle sicher: Die enorme Liebe meines Mannes, die lockere Coolness und das strahlende Lachen meiner beiden Söhne, sind das wertvollste Geschenk und immer Vorbild für mich!

Die Jungs wollen weiter, sie packen schon die Rucksäcke. Ich stehe auf und überlege, ob ich dir durch meine Erfahrungen einen Rat geben könnte. Nein, das vermag ich nicht, denn jedes Leben ist so individuell, da gäbe es so viel zu philosophieren. Deshalb sag ich einfach: „Pfiatdi, geh deinen Weg!“

 

 –
 –