ER IST WIEDER DA! Nach 18 Jahren!

Ich bin Marion Pfennig, 66 Jahre und musste im März 2020 hören: ER IST WIEDER DA!

25. Februar 2020, Faschingsdienstag: Nachts gegen 01.30 Uhr eskaliert mein Blutdruck. Ich warte eine Weile, messe immer wieder und rufe dann doch die Rettung, welche mich ins Krankenhaus Zams bringt. Bei der morgendlichen Visite erfahre ich, dass wegen meiner schlechten Blutwerte Untersuchungen notwendig wären. Na ja, dann lass ich mich untersuchen. Tage später wertet der Arzt das PET-CT und die Biopsie aus, spricht von mehreren Metastasen in beiden Lungenflügeln und in der Leber, erläutert mir den Behandlungsweg. Seine Infos höre ich, sie erreichen mich aber nicht. Dann sitze ich im Auto, will nach Hause fahren und überlege: Was hat er mir da grad gesagt? Der Brustkrebs hat gestreut, Metastasen wurden gefunden? Das heißt ja: Er ist wieder da! Nach 18 Jahren!

 


RÜCKBLICK IN DEN SOMMER 2002 – ICH BIN 47 JAHRE ALT:

  • Start in einen neuen Job am 1. Juni
  • Knoten in der linken Brust getastet am 22. Juni (meine ältere Schwester erkrankte 1999 an Brustkrebs)
  • Biopsie bestätigt malignen Tumor, Lymphknotenbefall in der Axilla
  • Dienstgeber beendet das Dienstverhältnis zum 30. Juni im Probemonat
  • Aufnahme in die Uniklinik Innsbruck am 1. Juli, brusterhaltende OP am 2. Juli, Bestrahlungen im August und September
  • Therapiestart mit Tabletten und Spritzen (Dauer: 3 Jahre)
  • Start in einen neuen Job am 1. Oktober



Da ich nicht wieder riskieren wollte, den Job zu verlieren, erzählte ich dem neuen Dienstgeber nichts von der Operation, nichts von der Therapie. Ich ging 1x im Monat, während meiner Mittagspause, in die Brustambulanz und bekam dort „meine“ Spritze. Alles lief gut, die Therapie schlug an, so dass es nach drei Jahren hieß, ich sei gesund. Ich nahm an allen Kontrolluntersuchungen teil und als es nach fünf Jahren wieder hieß, ich sei gesund, glaubte ich es. Jetzt, im Nachhinein, fällt mir ein Interview ein, das eine Medizinstudentin mit mir führte. Damals sagte ich so was wie: „Krebspatienten dürfen das, was sie während der Therapie gelernt haben, nie wieder vergessen. Sie sollten nicht ins alte Schema mit Stress & Co verfallen.“ War das nicht ein kluger Satz von mir?

Den erneuten Wohnort- und Jobwechsel packte ich gut. Weniger gut ging es mir dann mit der Diagnose PARKINSON, die mein Mann im Sommer 2008 erhielt. Er musste seinen Job als Küchenchef sofort aufgeben und ging in die Berufsunfähigkeitspension – mit 54 Jahren. Das war eine völlig neue Situation, die Stress für uns beide mit sich brachte. Mein Mann war von heute auf morgen zu Hause, ich noch voll berufstätig. Damals sagte ich zu meinem Klaus: „Schatz, wir schaffen das!“ (Der Satz kommt inzwischen allen bekannt vor, oder?) Und wir schafften es wirklich ziemlich gut. Am 1. Juli 2015 ging ich in Pension. Wir unternahmen Dies und Das – was Parkinson so zuließ. So weit, so gut – bis im Frühjahr 2019. Parkinson hatte bis dahin auch alle Symptome entwickelt. Doch damit nicht genug – Parkinson Demenz wurde diagnostiziert. Der schlechte Gesundheitszustand meines Mannes erforderte nun meine Pflege und damit meine ganze Kraft. Ich war gut organisiert, ich war stark und über die ersten Kilos, die purzelten, freute ich mich. Wer nahm schon über Weihnachten ab?

Und nun schließt sich der Kreis – wir sind im Februar. Ich hatte 18 kg weniger, einen Blutdruck über 200 und Metastasen. Am 16. März fuhr ich in die Brustambulanz Innsbruck. Richtig, da war noch was – für Tirol begann an diesem Tag der Lockdown wegen Corona. Autobahn gespenstisch leer, Einlasskontrollen in der Klinik. Das tangierte mich recht wenig, ich hatte andere Sorgen. Ich ging zum Gespräch mit dem Oberarzt, der freundlich war, der Zeit hatte, der mir die Therapie erklärte und begeistert von einem neuen Medikament sprach. In meinem Kopf surrte es. Wie jetzt? Operation nicht möglich, Bestrahlung auch nicht, ich sollte „nur“ Tabletten schlucken. Der abschließende Satz des Arztes lautete: „Die Metastasen sind behandelbar, aber nicht heilbar.“ Punkt, aus.

Ich fuhr nach Hause – wie in Trance, zu meinem schwerkranken Mann. Für ihn suchten alle einen Platz im Pflegeheim. Wir erhielten eine Zusage vom Mieminger Heim, mitten in der Corona Zeit – das war ein Wunder! Corona „verursachte“ eine wochenlange Heimquarantäne. Ich konnte mit meinem Mann nur noch telefonieren, was wegen der Demenz nicht einfach war. Als der „Spuk“ dann endlich vorüber war, besuchte ich meinen Klaus täglich – vormittags und nachmittags. Aber das Abschiednehmen war jedes Mal unendlich schwer, schon am Heimweg liefen mir die Tränen.

In der Zwischenzeit versuchte ich, mich auf MICH zu konzentrieren, recherchierte alles Mögliche, stöberte in Blogs, sprach mit meinem Sohn, meinen Geschwistern und meinen Freunden. Wie halte ich die Nebenwirkungen aus? Ich suchte Hilfe, suchte Trost, suchte Erklärung für dieses „Nicht heilbar“. Besonders in der Nacht holte mich alles ein. Wut, Trauer und Verzweiflung bereiteten mir schlaflose Nächte. Wieviel Zeit habe ich noch? Wofür möchte ich diese Zeit nutzen? Finde ich Hilfe für mich, wenn es mir schlecht geht? Wie geht es meinem Mann, wenn ich nicht mehr für ihn da sein kann? Immer wieder las ich vom großen Nutzen dieses neuen Medikamentes. Sind das Wunderpillen? Schon wieder ein Wunder? Da fällt mir der Liedtext „Wunder gibt es immer wieder“ ein. Ich hoffe, ja, ich hoffe auf ein kleines Wunder.

Im September 2020 lese ich in der Lokalpresse einen beeindruckenden Artikel über Tiroler Brustkrebspatientinnen. Sie alle suchen Austausch, Verständnis, Trost, Halt, ... Und unter der Federführung von Karo ergreifen sie die Initiative und werden „DIE T(H)UMORVOLLEN“. Beim Treffen am Piburger See war ich dabei und traf Frauen, die mich faszinierten. In ihren Gesichtern erkannte ich viele Facetten – Kraft und Stärke, Hoffnung und Mut. Jede von uns war offen, ehrlich, tabulos und bewegt von den Geschichten, die hinter der Diagnose KREBS stehen. Ja, Krebs bewegt – die Betroffenen, die Partner, Kinder und Freunde. Und „weil Krebs bewegt“, möchte ich zu diesen, oft sehr jungen, Frauen gehören, ihnen mit meinen Erfahrungen helfen, mein Herz öffnen und Zeit schenken. Bei allem Optimismus und Erfolg in der Krebsforschung dürfen wir nicht vergessen, wie gemein und heimtückisch dieses Krebsmonster sein kann – kommt es doch einfach zurück, auch noch nach 18 Jahren. Ich wünsche allen T(H)UMORVOLLEN, dass sie durch diese schwere Zeit gut begleitet werden und nicht auch irgendwann sagen zu müssen: ER IST WIEDER DA!

In diesem Sinne, Marion aus Mieming.

 

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